Interview 1
(in
Anlehnung an das Radio-Interview "Treffpunkt" am 13. September 2006
beim Schweizer Radio DRS1, Redaktion und Moderation: Thomy Scherrer;
- Nur ein kleiner Auszug)
Sie sind wegen der
Liebe in die Schweiz gekommen wie übrigens derzeit viele
Deutsche in die Schweiz kommen. Die Deutschen sind die grösste
Einwanderergruppe. Man kann hier Geld verdienen, die kulturellen
Unterschiede sind nicht riesig, die Sprachunterschiede auch nicht so
gross - meint man. Tatsächlich mussten Sie feststellen, dass
Sie Ihre Frau nicht einmal dann verstanden haben, wenn sie
Hochdeutsch mit Ihnen gesprochen hat.
Ja, das ist so. Ich musste
lernen, dass es nicht nur ein Hochdeutsch gibt, sondern mehrere. In
diese Situation kommt man als Deutscher, der sich in Deutschland und
sogar im Ausland - ausser in der Schweiz - aufhält,
normalerweise nicht. Und ausser von einem "Ritt über den
Bodensee", d. h. ein Schiffsausflug nach Romanshorn mit anschliessendem
Kurzbesuch von Sankt Gallen, kannte ich die Schweiz nicht aus eigener
Erfahrung, vielleicht noch abgesehen vom Genfer Automobilsalon, den ich
als Werbeberater für die Automobil-Industrie besucht habe ...
Sie sind ein
"Düsseldorfer Jong", den es in die Schweiz verschlagen hat.
Ist damit noch etwas anderes gemeint als nur ein "Mann aus
Düsseldorf"?
Die Düsseldorfer
Jonges sind ein Heimatverein zur Pflege der Geschichte, Tradition
und Mundart ihrer "weltoffenen Vaterstadt
Düsseldorf". Der Verein, der sich übrigens selbst als
"grösster Heimatverein Europas" bezeichnet und dem nur
Männer angehören können, hat ein bedeutendes
lokalpolitisches Gewicht. Mitglied wird man auf Einladung und
Empfehlung, wobei nach Aussage des Vereins Beruf, Vermögen
oder Herkunft keine Rolle spielen. Tatsächlich ist im Verein
aber viel Prominenz und sind viele Honoratioren vertreten,
worauf auch Gewicht gelegt wird. Diesem Verein habe ich viele Jahre
angehört. Man traf sich regelmässig Dienstag abends
zum "shoulder rubbing" und hat in der Regel äusserst
interessante Vorträge interessanter und wichtiger Leute
zu den verschiedensten Themen gehört. Die
Vortragenden blieben dann auch nach dem Ende des
offiziellen Teils der Veranstaltung ggf.
zu Gesprächen auf ein Glas Bier - in
Düsseldorf trinkt man übrigens Altbier - so
konnte man ziemlich unkompliziert z. B. mit dem
Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und späteren
Bundespräsidenten zusammentreffen, um nur mal ein
"Schwergewicht" zu nennen. Durch die bunte Auswahl an Themen konnte man
regelmässig ausserhalb des eigenen beruflichen Umfelds
über den Tellerrand schauen, wozu sich sonst nicht so
häufig Gelegenheit bietet, schon gar nicht im Zusammentreffen
mit so hochkarätigen Leuten. Ich rede übrigens die
ganze Zeit in der Vergangenheitsform - zu Unrecht. Die
Düsseldorfer Jonges bestehen nämlich erfolgreich
weiter, auch ohne mich (lacht).
Spricht Ihre Frau
mit Ihnen Mundart oder Schriftdeutsch?
Zunächst einmal
möchte ich darauf hinweisen, dass "Schriftdeutsch" einer der
vielen Helvetismen ist, die in Deutschland keiner kennt. Von Anfang an
hatte es sich so eingebürgert, dass sie mit mir Hochdeutsch
sprach und spricht. Das war ja ein weiteres Indiz dafür, dass
es sich doch um "unterschiedliche Sprachen" handelt, ja, handeln muss,
weil auch so noch genügend Missverständnisse
mühsam erforscht, geklärt und beseitigt werden
mussten. Ein weites Feld. Und das beschränkt sich nicht einmal
auf unbekannte Wörter oder Redewendungen, sondern umfasst auch
Homonymien, d. h. identische Wörter haben unterschiedliche
Bedeutung je nach Sprecher. Z. B. bestimmte Schimpfworte, mit denen ich
spasshaft belegt wurde, die in der Schweiz total harmlos sind,
für ein deutsches Ohr aber einen ordentlichen Insult
darstellen. Wenn wir auch miteinander Hochdeutsch sprechen, schaltet
meine Frau sofort um, sobald ein Dritter hinzustösst. Wir
leben ja nicht isoliert, sondern haben im Gegenteil oft Besuch von
Freunden und Verwandten und haben überhaupt viel
"Publikumsverkehr" im Haus, denn meine Frau ist katholische
Pfarreileiterin, und in einem Pfarrhaus ist immer etwas los. Da "geht"
immer irgend etwas.
Selbst das
vornehme Hochdeutsch der Neuen Zürcher Zeitung, der
angesehenen NZZ, unterscheidet sich total vom vornehmen "deutschen
Hochdeutsch"? Ist das wirklich so?
Sagen wir es so, es gibt
grosse Unterschiede, die man nicht wegdiskutieren kann - bei
überwiegenden Gemeinsamkeiten. Aber man weiss nie: Wann stimmt
es überein, wann nicht? Es gibt Wörter und
Redewendungen, die deutsch klingen, die aber kein Deutscher versteht,
der noch keine sprachlichen Kontakte zum Schweizer Hochdeutsch hatte.
Genau für den Fall habe ich ja mein "Schweizer
Wörterbuch für Deutsche" geschrieben, dass diese
Deutschen nicht wie ich "unten durch" und die "harte Tour" gehen
müssen, sondern komfortabel nachschlagen können. Eine
Art 80%-first-level-support ohne Mühe.
Und
"Züridütsch" verstehen Sie mittlerweile?
Meine Frau spricht ihr
schönes Freiämter Deutsch, das für mich
sozusagen "meine erste (sprachliche) Liebe" war. Wie gesagt kommen wir
mit vielen Menschen zusammen aus allen Regionen der Schweiz, und ich
lerne schnell. Wenn ich noch an eine Veranstaltung mit
Vorträgen und Aufführungen denke, die meine Frau und
ich im Kanton Luzern einige km hinter Hochdorf besucht haben, wenige
Tage nachdem ich in der Eidgenossenschaft angekommen war - einfach nur
grauenhaft. Ich verstand kein einziges Wort. Hätten sie doch
Englisch oder Französisch oder meinetwegen Hebräisch
gesprochen. Ich hätte mehr verstanden. Mittlerweile liegt
diese traumatische Erfahrung einige Zeit zurück, und ich
verstehe die Luzerner Mundart beinahe ebenso gut wie die hiesige, das
heisst das Freiämter Deutsch, auch das
Züridütsch bereitet mir kaum noch Schwierigkeiten.
Vollkommen unerwartet empfinde ich von den deutschschweizerischen
Mundarten hingegen das Solothurnerische noch als recht schwierig.
Schweigen wir höflich über das Walliser oder
Bündner "Deutsch". Und auch am Bernischen kann man sich die
Zähne ausbeissen. Aber keine Sorge, ich lebe mit Selbstachtung
weiter, habe ich mir doch zu meiner Beruhigung sagen lassen, dass
selbst Schweizer ihre gepflegten Schwierigkeiten mit den anderen
Idiomen haben. - Triumph!!
Interview 2
(Brennpunkt: "Ein Deutscher erzürnt die Schweizer", Aargauer Zeitung, 2. Dezember 2010, Seite 27; 29, Auszüge)
Er sorgt für rote
Köpfe, der Ratgeber für Neuankömmlinge, "Alltag in
der Schweiz". Auf 315 Seiten beschreibt der deutsche Autor Michael
Kühntopf nicht nur die Schweizer Lebensart oder das politische
System, sondern auch über seiner Ansicht nach undurchschaubare
schweizerische Mentalität. Medien kritisierten seine "Tipps
für ein harmonisch-kollisionsfreies Überleben in der
Schweiz": Denn Kühntopf schreibt, dass Schweizer keine Ironie
verstünden und deutlich weniger Humor hätten als Deutsche und
Österreicher. Warum sagt er das? Auf nach Widen, wo der
gebürtige Düsseldorfer seit fünf Jahren lebt. Ein
schmaler Mann öffnet die Tür - er ist charmant, höflich
und redet wie ein Wasserfall.
Soll ich bei Ihnen meine Schuhe ausziehen?
Michael Kühntopf: Wenn Sie mögen.
Laut Ihrem Ratgeber ist das "Schuhabziehen" typisch schweizerisch. In Berlin habe ich andere Erfahrungen gemacht.
Natürlich kann man
nicht verallgemeinern. Allerdings muss man in der Deutschschweiz die
Schuhe häufiger ausziehen als in Deutschland. Und das bei jedem
Wetter. So etwas habe ich in Deutschland noch nie gesehen. Es ist schon
ein merkwürdiges Bild, wenn man in vertrauter Runde sitzt und auf
einen Haufen unbeschuhter Füsse blickt. Daran werde ich mich nie
gewöhnen.
Sie schreiben auch, dass Schweizer deutlich weniger Humor hätten als Östereicher und Deutsche. Ist es so schlimm?
Überhaupt nicht. Ich
wollte nur die Unterschiede aufzeigen, da muss man etwas zuspitzen. Mir
ist klar, dass es "den Schweizer" nicht gibt. Man kann aber sagen, dass
der Deutschschweizer in der Regel etwas reservierter ist und
länger braucht, um mit jemandem warm zu werden und auf eine
humorvolle Basis zu kommen. Hinzu kommen Sprachprobleme.
Verstehen wir deshalb auch keine Ironie?
Ein Deutschschweizer
beherrscht die deutsche Sprache nicht so gut wie ein Deutscher. Vor
allem, wenn der Deutsche so schnell spricht wie ein Maschinengewehr.
Für ihn ist Hochdeutsch eine Fremdsprache, und es fällt ihm
schwer, ironische Sprachspiele oder eine gehobene Konversation auf
Anhieb zu begreifen. Deshalb ist der Deutsche oder Österreicher
auf der sicheren Seite, wenn er auf Ironie verzichtet und meine
Ratschläge befolgt. Das ist auch das Ziel meines Buches.
Wie meinen Sie das?
Es ging mir nicht darum,
die Schweizer zu beschreiben. Vielmehr wollte ich den
Neuankömmlingen weitergeben, wie die Schweizer funktionieren und
was gut ankommt und was nicht. Ich habe ein sachliches Buch
geschrieben, das die Schweiz in allen Aspekten beschreibt. Es gibt
alles wieder, von der Einreise über die Arbeitswelt bis zur
schweizerischen Mentalität. Die Medien haben aber nur einzelne
Sätze meines Buches thematisiert. Sie haben aus mir den Ugly
German gemacht.
Trotzdem:
Ihre Aussagen zum Schweizer Humor- und Ironie-Verständnis
provozieren. Auf Ihrer Homepage hagelt es jedenfalls böse
Kommentare.
Ein bisschen provozieren
darf man doch als Schriftsteller. Mir war zwar bewusst, dass ich mit
dem Feuer gespielt habe, aber mit solchen Schlägen habe ich nicht
gerechnet. Vielleicht hätte ich dann etwas softer formuliert.
Dieser Aufschrei der Empörung zeigt doch, dass die Unterschiede
tatsächlich existieren. In Deutschland jedenfalls wäre das
nicht so passiert. Die Reaktionen der Schweizer beweisen mir, dass
viele tatsächlich unter dem von mir beschriebenen
Minderwertigkeitskomplex leiden.
Minderwertigkeitskomplex?
Ein Deutscher beherrscht
aus Schweizer Sicht die Sprache grandios. Zudem ist in Deutschland
alles eine Spur grösser. Hinzu kommt hier die geschichtlich
bedingte Furcht, vom Nachbarn überrannt zu werden. Man muss sich
also nicht wundern, dass die Schweizer die Deutschen nicht besonders
mögen. Vor allem, wenn sie forsch und arrogant auftreten. Die
Freundlichkeit in der Schweiz ist ein grosser Pluspunkt.
Geht es denn in Deutschland so ruppig zu und her?
Gerade im Berufsleben
gibt es in Deutschland eine extrem brutale Kultur. In Meetings hat man
einen grossen Spass daran, den anderen blosszustellen. In der
Schweiz hingegen äussert man Kritik höchstens unter vier
Augen. Das Ellbögeln ist zwar genau so hart, aber die Art und
Weise ist in der Schweiz viel humaner und freundlicher. Diese
Freundlichkeit hat aber auch den Nachteil, dass man sich unangenehme
Wahrheiten nicht sagt. Lieber lässt man eine Bekanntschaft
begründungslos auslaufen.
Warum sind Sie vor fünf Jahren in die Schweiz gekommen?
Ich habe meine jetzige
Frau - eine Schweizerin - hier kennen gelernt. Heute bin ich bestens
integriert und verstehe mich gut mit den Schweizern. Es gefällt
mir hier.
Keine negativen Punkte?
Die gibt es in jedem
Land. Wie ich bereits gesagt habe, brauchen die Schweizer etwas lange,
bis sie sich öffnen. Sie dürften da ruhig etwas lockerer
sein.
In den Medien war davon die Rede, dass Sie hier erstmals einen Kulturschock erlitten haben?
Das ist Quatsch. Vielmehr
war es ein Lernen. Wenn der Deutsche in die Schweiz kommt, denkt er
immer, dass alles so ist wie zu Hause. Ihm ist nicht bewusst, dass
Schweizer eine eigene Identität haben und sich von den Deutschen
nicht vereinnahmen lassen wollen. Diese Erkenntnisse wollte ich in
meinem Buch weitergeben.